Reaktion auf Pegasus-SkandalEU-Parlament lässt bei Kommission nicht locker

Fünf Monate nach der Untersuchung zum größten Spähskandal der EU wollen die Abgeordneten nicht mehr nur Initiativen und Briefe sehen, sondern Gesetze und Umsetzung. Dass sich die Kommission nicht von selbst regt, nennt der frühere Vorsitzende des Untersuchungsausschusses „traurig“.

Mann im karrierten Anzug steht am Rednerpult im EU-Parlament
Jeroen Lenaers hatte den Untersuchungsausschuss zum Pegasus-Skandal geleitet und fordert jetzt eine Reaktion. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Future Image

Das EU-Parlament hat heute mit großer Mehrheit einen Beschluss verabschiedet, in dem es erneut die mangelnde Reaktion der europäischen Kommission auf seinen Untersuchungsausschuss zum Pegasus-Skandal kritisiert. Die Kommission habe immer noch keine konkreten Schritte vorgeschlagen, wie der Missbrauch von Staatstrojanern in der EU verhindert werden könnte, schreiben die Abgeordneten. Außerdem soll die Kommission untersuchen, wie Zypern, Griechenland, Ungarn, Polen und Spanien die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses umgesetzt haben.

Die Regierungen dieser Länder hatten Staatstrojaner benutzt, um oppositionelle Politiker:innen oder Journalist:innen auszuspähen. Das hatte eine internationale Medienrecherche vor mehr als zwei Jahren ans Licht gebracht. Das EU-Parlament hatte daraufhin einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, um die Vorwürfe gegen EU-Regierungen zu untersuchen. Nach mehr als einem Jahr Arbeit hat es eine Liste von Empfehlungen an die Kommission ausgesprochen. Unter anderem sollte die Kommission dafür sorgen, dass der Einsatz von staatlicher Hackingsoftware in der EU stärker eingeschränkt wird. Das Parlament darf aber selber keine Gesetze vorschlagen, weshalb es die Kommission dazu aufforderte. Auf einen solchen Vorschlag warten die Abgeordneten bis heute.

Keine konkreten Vorhaben

Die Abgeordneten stellen in ihrem Beschluss fest, dass die Kommission nach den Spielregeln der EU eigentlich drei Monate Zeit gehabt hätte, um auf Empfehlungen des Parlaments zu reagieren. Das hätte die Kommission aber auch mehr als fünf Monate danach noch nicht getan. Seit dem Ende des Untersuchungsausschusses im Mai hat es außerdem neue Fälle von staatlichem Hacking in der EU gegeben, ohne dass nationale Behörden oder die Kommission darauf reagiert hätten.

Das Parlament befragte gestern Abend auch Justizkommissar Didier Reynders zu der fehlenden Reaktion der Kommission. Er wies auf ein Schreiben hin, dass die Kommission im Oktober an das Parlament schickte. Darin stand allerdings nur Altbekanntes. Neue Maßnahmen, um den Missbrauch von Staatstrojanern einzudämmen, nannte die Kommission darin nicht.

Auch Reynders erwähnte gestern wieder nur die Regeln im geplanten European Media Freedom Act und Cyber Resilience Act. Der eine sieht mehr Schutz für Medienschaffende gegen staatliches Hacking vor, der andere soll allgemein die Sicherheit vor Angriffen erhöhen. Außerdem bereite die Kommission gerade eine nicht-gesetzliche Initiative vor, mit der das Verhältnis zwischen EU-Datenschutzgesetzen und der nationalen Sicherheit klargestellt werden soll. Nationale Sicherheit war von überführten Staaten wie Polen und Ungern immer wieder als Begründung dafür angeführt worden, warum das Ausspähen der Presse oder der Opposition notwendig und rechtens gewesen sei. Auf mögliche Klagen gegen diese Mitgliedsstaaten, wie die Kommission sie geprüft hatte, ging Reynders nicht ein.

Eine klare Botschaft

Das reichte den Parlamentarier:innen aber nicht. „Es ist ziemlich traurig, dass wir wieder einmal eine Plenardebatte und sogar einen Plenarbeschluss brauchen, um irgendein Lebenszeichen von dieser Kommission zu bekommen“, beklagte der ehemalige Vorsitzende des Pegasus-Ausschusses, der niederländische Konservative Jeroen Lenaers. Das Parlament habe die Späh-Skandale ein Jahr lang untersucht, ein halbes Jahr sei seitdem ins Land gegangen: „Was in aller Welt hat die Kommission in den letzten anderthalb Jahren gemacht?“ Das Verhalten der Kommission sei ein Schlag ins Gesicht für die Opfer von Staatstrojanern.

„Die Kommission sollte allen Empfehlungen des Parlaments vom Juni diesen Jahres in vollem Umfang nachkommen“, forderte Sophie in ‘t Veld im Gespräch mit netzpolitik.org. Die niederländische Liberale setzt sich schon länger gegen Staatstrojaner ein. Es gebe absolut keine Rechtfertigung für die Weigerung der Kommission, sagte sie. „Schlimmer noch: Die Kommission sendet damit die klare und unmissverständliche Botschaft, dass der Missbrauch von Spähsoftware und die illegale Ausfuhr von Spähsoftware in Drittländer in der EU völlig ungestraft bleiben.“

Das Parlament sei „stinksauer“, dass die Kommission die Empfehlungen einfach ignoriere, sagte die Grünen-Abgeordnete Hannah Neumann. Sie hofft, dass der Beschluss mit fraktionsübergreifender Zustimmung die Kommission nun doch noch zum Handeln bewege. Es sei zwar zu spät, vor der Europawahl im kommenden Jahr noch ein Gesetz zu verabschieden, aber die Kommission sollte zumindest einen Vorschlag für die nächste Legislaturperiode vorbereiten. Schließlich sei nicht ausgeschlossen, dass staatliche Spähsoftware nicht auch in die Hände von Terrorist:innen oder Unternehmen fallen könnte. „Uns läuft gerade die Zeit davon.“

Der österreichische Sozialdemokrat Hannes Heide forderte gestern in Plenum eine strukturelle Reform: Das Parlament sollte selber Gesetze vorschlagen können. Das Nicht-Handeln der Kommission missachte die aktuellen EU-Regeln, laut denen sie auf Vorschläge des Parlaments schnell reagieren sollte. Das Parlament stimmte gestern auch über fundamentale Vorschläge für eine Neuordnung der Union ab, die unter anderem diese Änderung enthalten. Außerdem soll das Veto im Rat, mit dem momentan Ungarn massiv den Gesetzgebungsprozess behindert, abgeschafft werden. Dass die Vorschläge umgesetzt werden, ist sehr unwahrscheinlich. Zu groß ist der Widerstand einiger Mitgliedsstaaten.

PiS sieht Anti-Mitgliedsstaaten-Agenda

Der Beschluss des Parlaments listet noch einmal die bekanntesten Skandale der letzten zwei Jahre auf: Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und der Abgeordnete Pierre Karleskind wurden mit Predator-Spyware angegriffen, genau wie Beamte der Kommission selbst. Diese Software wurde von Intellexa, einem europäischen Unternehmen, entwickelt und auch benutzt, um einen ägyptischen Präsidentschaftskandidaten abzuhören. Griechische Aufsichtsbehörden haben 92 Opfer im Land identifiziert, woraufhin die Führungsebene einer der Behörden neu besetzt und Strafverfahren an andere Ankläger übertragen wurden.

Das Handy der russischen Journalistin Galina Timchenko wurde mit Pegasus infiziert, während sie sich in Deutschland aufhielt. Ein Untersuchungsausschuss des polnischen Senats kam zu dem Ergebnis, dass in dem Land Pegasus ohne Strafverfahren und aus politischen Gründen benutzt wurde. In Spanien gab ein Richter die Ermittlungen gegen Marokko auf, das den Premierminister und andere Minister mit Pegasus angegriffen haben soll. Die israelischen Behörden, die die Aufsicht über den Pegasus-Hersteller NSO Group haben, hätten nicht mit den Ermittlungen kooperiert.

Die Abgeordneten der konservativen Noch-Regierungspartei in Polen haben dann auch heute einen etwas anderen Standpunkt als die Parlamentsmehrheit: Sie legten einen alternativen Vorschlag für einen Beschluss vor. Laut diesem hätten die Quellen für die Vorwürfe „fragwürdige Reputationen und politische Verbindungen“, etwa zu Edward Snowden. Außerdem sei Spyware sehr schwer festzustellen und alle Schlussfolgerungen deshalb sowieso spekulativ. Sie sehen in der gesamten Untersuchung eine Einmischung in Rechte der Mitgliedsstaaten. Selbst dieser Bericht erkennt aber an, dass die Regeln für Export und Import von Staatstrojanern gestärkt werden sollten.

3 Ergänzungen

  1. > Fünf Monate nach der Untersuchung zum größten Spähskandal der EU wollen die Abgeordneten nicht mehr nur Initiativen und Briefe sehen, sondern Gesetze und Umsetzung.

    Und was passieret, wenn die Idioten Gesetze machen?

    Das, gerade in Kraft getreten: http://blog.fefe.de/?ts=9ba316bc

  2. > das Veto im Rat, mit dem momentan Ungarn massiv den Gesetzgebungsprozess behindert,

    Ungarn lässt sich als ein „postkommunistischer Mafiastaat“ beschreiben, wie die These von zwei ungarischen Soziologen, Bálint Magyar und Bálint Madlovics, lautet. Ein „Mafiastaat“ ist nicht ein Staat, wo die Mafia versucht, den Staat zu unterwandern. Ein „Mafiastaat“ ist vielmehr ein Staat, wo die Mafia selbst zum Staat wird, wo das Recht für kriminelle Zwecke gesetzt und angewendet wird.

    In einem „Mafiastaat“ gibt es keinen Konkurrenzkampf zwischen unterschiedlichen Oligarchen. Alles ist einem einzigen kriminellen Machtzentrum unterworfen. Ein solches System funktioniert „feudalistisch“: Der „Herr“ steht an dessen Spitze, auch die „Oligarchen“ erhalten ihr Vermögen von ihm. Nicht eine Ideologie, sondern die Clan-Loyalität hält das System zusammen.

    https://taz.de/Oligarchie-in-Ungarn/!5990451/

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